Das Strukturstärkungsgesetz
Ein Gesetz auf den Weg zu bringen, ist ein umfangreiches Verfahren. Bis zum Inkrafttreten sind viele Hürden zu überwinden, Interessen abzuwägen und Kompromisse zu finden. Beim Strukturstärkungsgesetz ist das nicht anders, hat es doch weitreichende Wirkung, die das Mitteldeutsche und andere Reviere betreffen. Der Braunkohleausstieg ist eine nationale Aufgabe, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Sachsen-Anhalt war zu jedem Zeitpunkt in die Ausarbeitung des Strukturstärkungsgesetzes einbezogen. An dieser Stelle möchten wir Ihnen aufzeigen, welchen Prozess das Gesetz durchlief, was es beinhaltet und wie sich die aktuelle Situation darstellt.
- November 2016: Klimaschutzplan 2050 sieht Braunkohleausstieg vor
- Juni 2018: Bundesregierung setzt Kommission für einen gesellschaftlichen Konsens ein
- Januar 2019: Kommission legt ihren Abschlussbericht mit konkretem Plan vor
- April 2019: Bundesregierung stellt über Sofortprogramm bis zu 240 Millionen Euro bereit
- Mai 2019: Bundesregierung und Länder erarbeiten Gesamtkonzept und Eckpunkte
- August 2019: BMWi veröffentlicht Referentenentwurf des Strukturstärkungsgesetzes
November 2016: Klimaschutzplan 2050 sieht Braunkohleausstieg vor
In ihrem Klimaschutzplan 2050 vom November 2016 beschreibt die Bundesregierung ihr Vorgehen zur Erfüllung des Paris-Abkommens. Darin bekannte sich die Weltgemeinschaft, die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Maßgeblich ist die Reduktion des Treibhausgasausstoß. Im Klimaschutzplan 2050 sind somit klare Ziele für die Verringerung der CO2-Emissionen in einzelnen Sektoren der deutschen Wirtschaft festgeschrieben: bei der Energiewirtschaft, bei Gebäuden, in der Industrie, der Landwirtschaft und im Verkehr. Der Großteil an CO2-Emissionen im Sektor Energie wird von Kohlekraftwerken erzeugt. Ein notwendiger Schritt, die Klimaschutzziele zu erreichen, sieht den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung vor. Im Klimaschutzplan 2050 offen: bis wann der Ausstieg erfolgen soll.
Juni 2018: Bundesregierung setzt Kommission für einen gesellschaftlichen Konsens ein
Fest steht: Der Braunkohleausstieg funktioniert nicht über Nacht. Denn Tagebaue, Kraftwerke sowie die umliegende energieintensive Wirtschaft sind Garanten für hochqualifizierte Industriearbeitsplätze und Motoren für die regionale Wirtschaft. Was würde in den vom Ausstieg betroffenen Regionen passieren – in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt? Allein in Sachsen-Anhalt liegen vier Landkreise sowie die Stadt Halle (Saale) im Mitteldeutschen Revier, das jährlich 17,7 Millionen Tonnen Braunkohle fördert und insgesamt mehr als 15.600 Beschäftigten gute Jobs garantiert.
Im Juni 2018 setzte die Bundesregierung zur Klärung dieser und weiterer offener Fragen die Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KWSB) ein. Die Kommission bestand aus 28 stimmberechtigten Mitgliedern, die alle gesellschaftlichen Gruppen repräsentierten. Zehnmal tagte die Kommission im Plenum, hörte zahlreiche Sachverständige, die Ansichten und Expertise aus Wirtschaft und Wissenschaft einbrachten und Ansprüche sowie Interessen der Gewerkschaften und Zivilgesellschaft vortrugen. Arbeitsgruppen behandelten die Bereiche Strukturwandel sowie Klima und Energie. Die Mitglieder der Kommission verschafften sich vor Ort selbst einen Eindruck von den Besonderheiten der einzelnen Reviere.
Januar 2019: Kommission legt ihren Abschlussbericht mit konkretem Plan vor
Im Januar 2019 legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor, der einen gesamtgesellschaftlichen Kompromiss darstellte. Darin wurde ein Fahrplan für einen schrittweise Rückgang installierter Kohlekraftwerksleistung vorgestellt. Deutschlandweit soll der Braunkohleausstieg in drei Etappen von 2022, 2030 und 2038 erfolgen. Die letzte Etappe kann auf 2035 vorgezogen werden. Entscheidend für einen gelungenen Strukturwandel sei ein eng verzahntes Maßnahmenpaket, das struktur- und sozialpolitisch sowie energiewirtschaftlich ansetzt. Konkrete Empfehlungen der Kommission sahen einen Ausbau erneuerbarer Energien auf 65 % bis 2030 vor, die Fortführung und Weiterentwicklung der Kraft-Wärme-Kopplung sowie die Stilllegung eingesparter CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel.
Im Zuge der Strukturentwicklung regte die Kommission Finanzhilfen für die betroffenen Länder und Kommunen sowie Anpassungshilfen und Qualifizierungsmaßnahmen für Beschäftige an. Die Reviere sollten zu Modellregionen für eine gelungene Energiewende werden. Nötig seien u. a. ein Ausbau der digitalen und Verkehrsinfrastruktur, Ausbau von Wissenschaft und Forschung sowie eine Verlagerung von Bundesbehörden in die Regionen. Wichtig seien zudem beschleunigte Genehmigungen. Den finanziellen Rahmen zur Förderung des Strukturwandels bezifferte die Kommission deutschlandweit auf insgesamt 40 Milliarden Euro, die über einen Zeitraum von 20 Jahren zu veranschlagen seien.
April 2019: Bundesregierung stellt über Sofortprogramm bis zu 240 Millionen Euro bereit
Um schnell strukturwirksame Projekte zu realisieren, vereinbarten Bund und Länder im April 2019 ein Sofortprogramm, das kurzfristig – also ohne Gesetzesänderungen – Projekte in den betroffenen Regionen bis 2021 fördert. Das Programm zielte auf schnell umsetzbare, in sich geschlossene Maßnahmen in den Revieren mit kurzfristiger Wirkung. Über alle Reviere fließen so Finanzhilfen in Höhe von 240 Millionen Euro in rund 100 Projekte. Die Landesregierungen hatten zukunftsorientierte Projekte vorgeschlagen, in Sachsen-Anhalt etwa Testgebiete für den neuen Mobilfunkstandard 5G, Anbindungen an Gewerbegebiete und Ladesäulen für Elektroautos. Die Förderung erfolgte über Aufstockung bestehender Bundesprogramme.
Mai 2019: Bundesregierung und Länder erarbeiten Gesamtkonzept und Eckpunkte
Der Abschlussbericht der Kommission bildete die Grundlage für ein Eckpunktepapier, das die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern erarbeitete. Sachsen-Anhalt war von Anfang an in den Entscheidungsfindungsprozess involviert. Am 22. Mai 2019 beschloss das Bundeskabinett ein Gesamtkonzept zur Unterstützung der Kohleregionen, veröffentlicht als „Eckpunkte zur Umsetzung der strukturpolitischen Empfehlungen der KWSB“.
Entscheidend: Das Konzept enthielt einen Entwurf für ein Strukturstärkungsgesetz für die Kohleregionen, das Rahmenbedingungen für moderne Regionen und gute Lebensbedingungen schaffen soll. Ziel der Bundesregierung ist es, gemeinsam mit Ländern und Regionen die bisherigen Kohleregionen zu Energieregionen der Zukunft weiterzuentwickeln und so einen erfolgreichen Strukturwandel zu vollziehen. Dazu sah der Entwurf ein neues Investitionsgesetz vor, das die Finanzhilfen des Bundes auf 700 Millionen Euro jährlich taxiert. Bis 2038 würden die Braunkohleregionen somit bis zu 14 Milliarden Euro für Investitionen erhalten. Zudem würde der Bund die Regionen mit bis zu 26 Milliarden Euro unterstützen – über weitere Maßnahmen, die in der Zuständigkeit des Bundes liegen. Die Bundesregierung folgte damit den Empfehlungen der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung.
August 2019: BMWi veröffentlicht Referentenentwurf des Strukturstärkungsgesetzes
Am 28. August 2019 beschloss die Bundesregierung das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen, das die Eckpunkte umsetzt. Federführend war das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Das Gesetz schafft einen verbindlichen Rechtsrahmen für die strukturpolitische Unterstützung der betroffenen Regionen. Der „1. Arm“ des Gesetzes sieht projektoffene Finanzhilfen von bis zu 14 Milliarden Euro für bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden vor. Hiervon erhält Sachsen-Anhalt insgesamt 12 Prozent. Die Einsatzmöglichkeiten der Finanzhilfen dienen der wirtschaftsnahen Infrastruktur, dem Städtebau oder auch dem Klima- und Umweltschutz. Wir stellen Ihnen die neun verschiedenen Förderbereiche auf dieser Unterseite genauer vor.
Der „2. Arm“ des Gesetzes regelt die weiteren Maßnahmen des Bundes, die in seiner eigenen Zuständigkeit liegen. Dazu gehören Investitionen in Straßen- und Schienenwege, die Erweiterung von Forschungs- und Förderprogrammen und die Ansiedlung von Bundesbehörden in den Revieren. Hierfür stehen deutschlandweit nochmal bis zu 26 Milliarden Euro zur Verfügung. Eine zentrale Rolle in der Umsetzung wird ein neu geschaffenes hochrangiges Bund-Länder-Gremium spielen, das unter Vorsitz des BMWi einen zügigen Projektfluss gewährleistet. Zudem erarbeitet das BMWi das neue Förderprogramm „STARK“, das die Regionen auch bei nicht investiven Maßnahmen unterstützt.
Das Strukturstärkungsgesetz setzt viele Empfehlungen der Kommission um, veranschlagt umfangreiche Finanzhilfen dauerhaft im Bundeshaushalt und sichert Ländern einen Anspruch auf weitere Maßnahmen des Bundes zu. Ausstehend ist jedoch die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Die Länder fordern den Bund auf, sich klar auf die Summe von 40 Milliarden Euro festzulegen. Außerdem fehlen im Gesetzesentwurf direkte Anreize für den Unternehmenssektor.
Die Landesregierung Sachsen-Anhalt bringt sich weiter auf höchster Ebene ein. In der Region steuert und begleitet die Stabsstelle Strukturwandel den Prozess. Bereits mit Veröffentlichung des Abschlussberichts der KWSB wurde in der Staatskanzlei und Ministerium für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt die Stabsstelle eingerichtet. Im Juni 2019 nahm sie ihre Arbeit auf, begleitet das Thema inhaltlich intensiv, koordiniert und organisiert.